Das Comeback der Kleinstruktur
Eine immer größer werdende Bewegung von Gemüsegärtnern rund um den Globus ist sich sicher: Gemüseanbau auf kleinsten Flächen und in Handarbeit macht auch heute noch Sinn! Sie sind überzeugt von der Schlagkraft der Kleinstruktur und arbeiten nach dem Konzept der Marktgärtnerei (aus dem Englischen “Market Gardening”). Frei übersetzt heißt das so viel wie “Gärtnern für den Markt”, also Gemüseanbau in gartenähnlichen Strukturen für die regionale Direktvermarktung. In Handarbeit statt mit großen Traktoren – so wie es Gärtner eben machen. Wenn man sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Marktgärtnerei macht, stößt man auf eine beeindruckende Gemüsegärtner-Dynastie im 19. Jahrhundert.
Die Pariser Gemüsegärtner*innen
Eliot Coleman, Pionier des biologischen Gemüsebaus in den Vereinigten Staaten von Amerika, hat sich bereits vor rund 45 Jahren mit den geschichtlichen Hintergründen dieses Agrarprinzips beschäftigt und hebt in seinem Buch „Handbuch Wintergärtnerei“ insbesondere die ausgefeilte Gemüseproduktion im Paris des 19. Jahrhunderts als Inspiration für die heutige Marktgärtnerei hervor. Dieses „französische Gärtnereisystem“ war kleinstrukturiert (Durchschnittsfläche: 0,5 – 1 ha) und zeichnete sich im Wesentlichen durch vier zentrale Merkmale aus:
- Regionalität: Die gärtnerischen Kleinbetriebe befanden sich mitten in einer oder unmittelbar angrenzend an eine Stadt. Die Versorgungswege waren daher äußerst kurz.
- Vielfalt & Qualität: Dieses System versorgte die Stadtbevölkerung das ganze Jahr über (also auch im Winter) mit einer Vielzahl an Obst- und Gemüsearten in bester Qualität.
- Produktivität: Penible Planung, intensivste Nutzung der kleinen Flächen sowie hochentwickelte Anbautechniken ermöglichten eine enorme Flächenleistung.
- Nachhaltigkeit: Die nötige Wärme für den Wintergemüseanbau sowie die Zusatzstoffe für den natürlichen Erhalt der Bodenfruchtbarkeit entstammten dem damaligen Transportsystem mit Pferden. Die Verwertung deren „Nebenprodukte“ war so erfolgreich, dass die Bodenfruchtbarkeit trotz des intensiven Produktionsniveaus von Jahr zu Jahr zunahm.
Die Frühzeit der Traktoren und die Entwicklung mineralischer Düngemittel zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängten den Gemüsebau jedoch zunehmend in Richtung Großproduktion. Das Aufkommen der ersten Automobile führte zu einem Rückgang des Einsatzes von Pferden und damit zu einer Reduktion des für die Gärtnereien so wertvollen Pferdemists. Das Wachstum der Städte bewirkte eine Verteuerung der Flächen, die landwirtschaftliche Nutzung derselben wurde unwirtschaftlich und so kam es zu einer sukzessiven Verbauung der Gärtnereiflächen. Ein beeindruckend tragfähiges gärtnerisches Modell ging zu Ende. Vorerst.
Aus Market Gardening wird Marktgärtnerei
Eliot Coleman griff viele dieser Ideen und Prinzipien wieder auf, entwickelte altbewährte Techniken weiter und ergänzte sie um neue Methoden. Er begründete eine Art Wiederbelebung der Pariser Gemüsegärtnertradition und inspirierte zahlreiche Landwirt*innen, Gärtner*innen und Quereinsteiger*innen, es ihm gleich zu tun. Jean-Martin Fortier aus Kanada ist wohl einer der bekanntesten Gärtner, der die Prinzipien von Coleman aufgriff und damit überaus erfolgreich wurde. Mit seinem Bestseller „The Market Gardener: A Successful Grower’s Handbook for Small-scale Organic Farming“ ist er zu einer der zentralen Gallionsfiguren der Bewegung avanciert. Das moderne “Market Gardening” war geboren, vorerst in den USA und Kanada. Ebendiese Bewegung hat insbesondere in den letzten Jahren auch bei uns in Europa stark an Popularität gewonnen und ist im deutschen Sprachgebrauch mittlerweile als “Marktgärtnerei” bekannt.
Prinzipien der modernen Marktgärtnerei
Neben der breiten Vielfalt unterschiedlicher Kulturen und Sorten ist ein weiteres typisches Erkennungsmerkmal einer Marktgärtnerei der Einsatz permanenter Beete statt der im Feldgemüsebau üblichen Reihenpflanzungen. „Permanent“ bedeutet, dass diese Beetstruktur einmal angelegt wird und dann für viele Jahre an derselben Stelle bestehen bleibt. Betreten werden nur die dazwischenliegenden Wege – um selbst die geringste Bodenverdichtung zu vermeiden.
Bewirtschaftet werden die Beete in Handarbeit mithilfe von innovativen Handwerkzeugen und kleinen Maschinen. Für die Bodenbearbeitung wird statt schweren Traktoren in vielen Betrieben ein sogenannter Einachsschlepper verwendet (siehe Foto). Aufgrund der außergewöhnlich dichten Bepflanzung und der systematisch geplanten, fast ununterbrochenen Abfolge verschiedenster Gemüsekulturen auf ein und derselben Beetfläche wird die Nutzung dieser permanenten Beete als bio-intensiv bezeichnet. “Bio” deshalb, weil Marktgärtner*innen großen Wert auf die Förderung der Bodenfruchtbarkeit und den Schutz der Artenvielfalt legen und dementsprechend weder Mineraldünger noch chemisch-synthetische Pestizide einsetzen.